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Alles – bloß kein Stress

Bild1: Alles – bloß kein Stress

Die Insel Guernsey ist ein kleines Paradies zwischen England und Frankreich

Als der große Schriftsteller Victor Hugo im Jahre 1855 nach Guernsey kam, war das nicht ganz freiwillig. Der politisch engagierte Dichter hatte sich am 2. Dezember 1851 gegen den Staatsstreich von Louis Bonaparte erhoben und das Volk zum Aufstand aufgerufen. Er hatte sich aufgrund seiner Kritik gegen Napoleon III. in Ungnade gebracht und ging ins Exil. Hugo war da schon ein sehr vermögender Mann und konnte sich auf Guernsey ein Haus kaufen. Das Hauteville House ist heute ein Museum, und wenn man auf der Insel zu Besuch ist, sollte man dieses auch unbedingt besichtigen.

Hugos Räumlichkeiten sind im Originalzustand erhalten. 2018 bleiben sie noch aufgrund umfangreicher Renovierungen geschlossen. Zum Haus mit Blick auf die Stadt und den Hafen gehört auch ein wunderschön angelegter Garten.
Hugo fühlte sich in seinen 15 Jahren bestimmt nicht unwohl auf Guernsey, denn für ihn begann eine sehr kreative und produktive literarische Zeit. Eines seiner berühmtesten Werke, es war die Zeit der Romantik, ist der Roman „Die Elenden“. 1862 veröffentlichte Hugo mit großem Erfolg „Les Misérables“.

Heute kommt man natürlich freiwillig nach Guernsey. Und nicht wenige, die gekommen waren, sind auch dort geblieben. Zum Beispiel Manuela Walter. „Ich komme aus Ketzin bei Berlin. Ich habe eine Ausbildung zum Hotelfachfrau absolviert. Na ja, und schließlich habe ich nicht nur mit der Insel selbst die Liebe meines Leben gefunden“, sagte die nunmehr 50-jährige Unternehmerin und himmelt dabei ihren Mann Belmiro F. De Freitas an. Auch er ist eingewandert, kommt selbst von einer der schönsten Inseln der Welt. Er hat den Weg von Madeira nach Guernsey gefunden. Das Paar betreibt das „Beach“ an einer der schönsten Buchten der Insel.
„Das Leben hier ist sehr angenehm“, sagt Manuela Walter. „Wir bezahlen 20 Prozent Einkommensteuer – das war es. Allerdings, so viel kann ich bestätigen, geschenkt wird einem in Guernsey auch nichts! Wir haben kaum Kriminalität, und die Arbeitslosen die wir haben, die wollen tatsächlich auch nicht arbeiten.“ Als Beispiel liest sie kurz den Aufmacher der Tageszeitung vor, die in Guernsey einen sehr hohen Stellenwert hat. „Auf einem Fußweg ist ein großer Riss entstanden“, zitiert Manuela Walter mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht.
„Seit 15 Jahren lebe ich nun hier, und Heimweh – nee, eigentlich nicht.“ Nur im Winter geht es nach Deutschland oder Österreich zum Skifahren. Wenn man mit Manuela Walter dann durch die Stadt fährt oder läuft, passiert etwas Typisches: Jeder Zweite wird gegrüßt. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 65 000 ist das aber auch nicht ganz so ungewöhnlich.
„The Beach Café“ liegt am Fermain Bay – einer Bucht, die früher von Schmugglern gern angefahren wurde. Direkt neben der Bar steht ein Turm, der 1778 gebaut wurde und einer von 14 weiteren ist, der in früheren Tagen zu Befestigungsstrategie gegen die Franzosen diente. Er gehört heute der Stadt und wird gegenwärtig zu einem Hotel, einem kleinen wohlgemerkt, umgebaut.

Manuela Walter sagt, dass zum Beispiel die großen Fast-Food-Ketten – „Na, Sie wissen schon, wie die mit dem großen M“ – auf Guernsey kaum eine Chance haben. Die Guernseyaner wollen das einfach nicht. Einer hatte es versucht und ist krachend pleitegegangen.
Die Bar ist auf der Insel sehr angesagt – mehr als nur ein Geheimtipp –, und wenn man Glück hat, trifft man dort sogar Prominente wie kürzlich Schauspieler, die zur Premiere des Filmes „The Guernsey Liteary an Potato Peel Pie Society“ kamen. Zum Beispiel, um das Beach Café Seafood Sandwich zu genießen.

Der Film, eine Liebesgeschichte, die zurzeit der deutschen Besatzung der Insel während des Zweiten Weltkrieges spielt, kommt am 9. August in die deutschen Kinos. Lily James und Michiel Huisman gehören zu den Stars des Streifens, der in Deutschland „Deine Juliet“ heißen wird.
Auch das ist Guernsey – es gibt überall etwas zu entdecken, was teilweise schon als skurril zu werten ist. In der Hauptstadt St. Peter Port, sie ist auch die einzig echte Stadt auf Guernsey, kann man sich so an einem Meer von Blumen erfreuen. Jedes Jahr im Mai werden 160 000 neue Pflanzen eingesetzt – für sie wurde ein eigenes, 110 Kilometer langes Bewässerungssystem gebaut.

Und es gibt auf Guernsey tatsächlich die kleinste Kirche der Welt. „Little Chapel“ gilt als das kleinste offiziell geweihte Gotteshaus der Christenheit. Auf nur 15 Quadratmetern ist alles sehr liebevoll mit Muschelschalen, Kieselsteinen und Porzellanteilchen gestaltet.
Auf der Nachbarinsel Herm wiederum steht das kleinste Gefängnis der Welt – natürlich nur für eine Person. Überliefert ist: Im Jahre 1969 gab es die erste angemeldete Unterwasserfestnahme weltweit durch die örtliche Polizei. Der Polizist hieß David Archer und der Delinquent David Kempthorne-Ley. Der hatte sich in ein Zuchtgebiet der Seeohren eingeschlichen. Die Tiere, sie sind der Auster sehr ähnlich, gelten als Delikatesse.

Wer sich auf der Insel neben ausgiebigen Wanderungen auch mobil bewegen möchte: Mietwagen sind kein Problem. Allerdings herrscht Linksverkehr, und mehr als 55 Kilometer in der Stunde sind nicht erlaubt. Eine Besonderheit ist das sogenannte „Filter in Turn“ an Kreuzungen. Generell gilt: Das Autofahren ist absolut stressfrei. Alle haben irgendwie viel Zeit, und Rücksicht ist ganz normal. Will man auch auf das Auto verzichten, gibt es zudem ein sehr gut ausgebautes Busnetz. Einmal um die Insel ist in einer Stunde und 40 Minuten passiert. Jede Route beginnt und endete am Hafen in St. Peter Port.

Wer Guernsey dann ergründet hat: Die kleine Insel Herm, die nur 73 ständige Bewohner hat, 2183 Meter lang und nur 873 breit ist, bietet Erholung vom Feinsten. Nach der Überfahrt lässt es sich Wandern in üppiger Natur und an Sandständen, die man eigentlich nur in der Karibik erwartet. Wer einmal herumgewandert ist, hat knapp sechs Kilometer hinter sich – was sich in jedem Fall lohnt.

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